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Kai Wandschneider: „Ich nehme das Leuchten in den Augen der Zuschauer mit!“

Seit März 2012 hat Kai Wandschneider die Wetzlarer Jungs trainiert. Im Abschieds-Interview spricht der 61-Jährige über die aktuelle Saison, seinen Beginn in Wetzlar und blickt in die Zukunft.

 

Bild: Oliver Vogler

Was war Dein persönliches Highlight der Saison 2020/21?

Die Saison ist natürlich mit dem Sensationssieg gegen Kiel schon super gestartet. Für mich war aber die ganze Spielzeit mit dieser Mannschaft ein einziges Highlight. Gerade in der Rückrunde waren wir oft extrem ersatzgeschwächt und haben immer alles gegeben. Gegen die Eulen Ludwigshafen haben wir den höchsten Sieg der Vereinsgeschichte eingefahren und wir haben das erste Mal seit zwölf Jahren zuhause gegen die Füchse Berlin gewonnen. Auch gegen den Bergischen HC haben wir zweimal gewonnen. Das alles mit einer Mannschaft, in die man fünf Neulinge integrieren musste, ist überragend. 

Welcher Spieler hat in dieser Saison nochmal am meisten dazugelernt?

Viele Spieler haben sich nochmal extrem weiterentwickelt. Anton Lindskog hat erneut einen extremen Schritt gemacht und musste immer sehr viel spielen. Magnus Fredriksen hat in seiner ersten Saison in Deutschland eine tolle Rolle gespielt und gerade in der Rückrunde hat Lenny Rubin auch ganz stark aufgespielt.

Wie sehr hat Euch das Publikum gefehlt?

Es ist immer schön, wenn Zuschauer*innen dabei sind. Am Anfang der Saison gegen Flensburg und Kiel war mit 800 Fans eine riesen Stimmung, die uns getragen hat. Uns gefällt es natürlich allen am besten, wenn die Arena rappelvoll ausverkauft ist. Ich drücke dem Handball die Daumen, dass das in diesem Jahr wieder möglich ist.

Zurück zu Deinen Anfängen in Mittelhessen. Konntest Du dir im März 2012 vorstellen, so lange in Wetzlar zu bleiben?

Genauso wie man während der Saison nur von Spiel zu Spiel denkt, denkt man auch als Trainer nur von Saison zu Saison. Der Vertrag ist immer nur so viel wert, wie man Punkte sammelt und Erwartungen erfüllt, die ein Verein an einen setzt. Handball ist gerade für Trainer ein Tagesgeschäft. Es war also keineswegs vorstellbar als ich hierhergekommen bin. Diese lange Zeit lag daran, dass wir immer extrem erfolgreich und bei 100 Prozent waren.

Kannst Du dich noch an deine ersten Tage in Wetzlar erinnern?

Das kann ich noch sehr gut. Ich hatte nur einen Vertrag von März bis Saisonende unterschrieben, der sich automatisch verlängerte, wenn wir den Abstieg abwenden konnten. Deswegen war alles etwas provisorisch und ich habe in einer Einliegerwohnung in Dutenhofen bei einer befreundeten Familie der Klimpkes gewohnt und kannte weder Wetzlar noch Gießen. Ich bin so oft wie es ging nach Köln gefahren. Weil ich mich überhaupt nicht auskannte, bin ich immer auf die Autobahn und habe die Raststätte Katzenfurt angesteuert, um einen Cappuccino zu trinken. Die Raststätte kannte ich noch gut von Dormager Auswärtsfahrten. Erst nach dem geschafften Klassenerhalt bin ich dann nach Gießen gezogen.

Ist Mittelhessen in neun Jahren Deine zweite Heimat geworden?

Das ist ja nicht nur Beruf- sondern auch Lebenszeit, die ich in Mittelhessen verbracht habe. Da wäre es ja blöd, wenn man sich nicht wohlfühlen würde. Ich habe auch neben dem Handball viele tolle Menschen kennengelernt und ich habe mich in über neun Jahren hier sehr wohlgefühlt. Gießen ist weder zu groß noch zu klein und das wunderschöne Wetzlar mit der tollen Altstadt ist eine super Kombination. Ich bin an der Lahn viel Fahrrad gefahren, das hat mir alles sehr gut gefallen. Viele fremde Menschen haben mich herzlich aufgenommen und mir Mut zugesprochen, das ist toll.

Wer war der beste Spieler, den Du in Wetzlar trainiert hast?

Ich finde so etwas gibt es nicht, da das irgendwie impliziert, dass Handball ein Einzelsport ist. Es gibt immer wieder Spieler, die sich gegenseitig stark machen. Eine Mannschaft unterstützt sich untereinander und je nach Tagesform und Gegner können sich dann ein oder mehrere Spieler als Männer des Tages herauskristallisieren. Ich halte nichts von diesen Bestenlisten, die führen in eine komplett falsche Richtung.

Welcher ist Dein schönster HSG-Moment?

Jede Saison hat mehrere Highlights, da könnte ich sehr viele nennen. Ganz am Anfang meiner Zeit haben wir am vorletzten Spieltag den Klassenerhalt in Gummersbach klar gemacht. Ich war ja noch nicht lange da, aber wir haben uns alle in den Armen gelegen und in den Augen der Spieler war so viel Glück zu erkennen. Das war ein toller Moment. Außerdem ist es natürlich schon der Wahnsinn vor 12.000 Fans in dem Tempel des deutschen Handballs in Kiel zu gewinnen. Davon träumen die meisten Trainer und Spieler ihr Leben lang. Kiel ist der Maßstab in Europa und wenn man die schlägt, ist das immer außergewöhnlich.

Gibt es etwas, was Du im Nachhinein anders machen würdest?

Ich bin kein Typ, der mit irgendetwas hadert. Was das rein Sportliche angeht, reflektiert man immer und probiert Dinge zu korrigieren. Im Laufe der Jahre habe ich so viel an Erfahrung gewonnen und würde im Nachhinein alles genauso wieder machen.

Wenn Du zum Abschied noch etwas aus der Rittal Arena mitnehmen könntest, was wäre das?

Diese unvergleichliche Stimmung, wenn wir uns in einen Rausch gespielt haben und die ganz großen Clubs nahezu zerlegt haben. Das Leuchten in den Augen der vielen Menschen, mit denen man dann zu einer Einheit verschmolzen ist. Das nehme ich mit in meine Erinnerung. 

Wie planst Du deine Zukunft?

Jetzt habe ich in den nächsten Wochen erstmal viel zu tun mit meinem Umzug und organisatorischen Dingen. Damit werde ich erstmal voll beschäftigt sein, dann geht es für mich auf mein Fahrrad. Ich werde den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und einfach mal zwei, drei Wochen Fahrrad fahren. Da nehme ich mir nichts vor und das hängt auch ein bisschen vom Wetter ab. Ich kann jetzt noch nicht sagen, wie es mir in vier Monaten geht, das lasse ich auf mich zukommen. So eine Zeit ohne Handball und tägliche Verpflichtungen ist ungewohnt. Ich bin heilfroh, dass ich in vier Wochen nicht schon wieder in die Mühle des Handballs einsteige. Ansonsten kann ich zu meiner Zukunft noch nichts sagen.

Möchtest Du noch eine Botschaft an die Wetzlarer Fans richten?

Ganz am Anfang als ich herkam, waren deutlich weniger Fans in der Halle und viele war sehr skeptisch. Das Wetzlarer Publikum war leidgeprüft und man hatte zehn Trainer in acht Jahren gesehen. Da dachten die Fans am Anfang erstmal, wer ist das denn? Dann sind wir hier zusammengewachsen, ein Stimmungsumschwung war zu spüren und es macht riesen Spaß in der Festung Rittal Arena zu spielen. Dann muss man wirklich sagen, dass das Wetzlarer Publikum über sich hinausgewachsen ist. Die Spieler haben gespürt, dass sie nie den Zuspruch verlieren. Nach einer Niederlage sind wir gemeinsam traurig, da wird keiner ausgepfiffen oder stark kritisiert. Die Fans wissen, was sie an uns haben und wir wissen, was wir an den Fans haben, das ist eine tolle Geschichte, die man sich gemeinsam erarbeitet hat. In vielen Spielen hätte sich Wetzlar die Beleuchtung in der Arena sparen können, weil das Leuchten in den Augen der Menschen die ganze Halle taghell erleuchtet hat. Ich kann den Menschen nur sagen: helft der Mannschaft und dem Club weiter. Neue Spieler fühlen sich erstmal fremd und brauchen eine gewissen Anlaufzeit, die Zeit muss man ihnen geben. Bleibt also so wie ihr seid. Vielen herzlichen Dank für die tolle Unterstützung!

Nächstes Spiel

31.03.2024 - 16:30 Uhr
Max-Schmeling-Halle

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