Der Beginn einer neuen Epoche
Natürlich waren sie alle aufgeregt. Das war mal nicht eben nur eine Partie in einer anderen Spielstätte. Sondern ein ganzer Umzug, eine komplette Neuausrichtung, auf die so lange hingearbeitet wurde. Vom Dorf in die Stadt. Von einer Sporthalle in eine Arena. Exakt vor 20 Jahren schlug Handball-Bundesligist HSG Wetzlar nicht nur ein neues Kapitel in der Vereinsgeschichte auf. Sondern der Klub begann eine neue Epoche. Am 13. März 2005 bestritten die Grün-Weißen die erste Begegnung in der damaligen Mittelhessen-Arena, die zwei Tage zuvor mit der Aufführung von „Lord of the dance“ offiziell eröffnet wurde. Der Gegner hieß SG Wallau/Massenheim.
„Wir hatten keine Ahnung, was alles auf uns zukommen würde“, gesteht Rainer Dotzauer heute. Damals war er der starke Mann der HSG Wetzlar, der um sich ein kleines Team hatte. Heimspiele in Dutenhofen waren Alltag. Da saß jeder Handgriff. Die Abläufe waren über Jahre, sogar Jahrzehnte einstudiert. Nun war nicht nur alles größer, sondern auch einfach alles anders. 4600 Zuschauer kamen zur Premiere. Das waren fast 3000 mehr als bei Partien in der Sporthalle Dutenhofen Platz fanden. Busse pendelten zwischen Dutenhofen sowie Münchholzhausen und Wetzlar, um das Stammpublikum aus den beiden Ursprungsdörfern des Klubs möglichst einfach in die neue Spielstätte zu bringen. Man brauchte mehr Helfer, mehr geschultes Personal, einfach mehr Professionalität.
Eine erste große Schwierigkeit trat auf, als das Spiel noch gar nicht begonnen hatte. Denn niemand wusste, wie schnell der Luftabzug in der Arena funktionieren würde. Das führte dazu, dass die Nebelschwaden, die „Hit Radio FFH“ bei der großen, bunten und spektakulären Eröffnungsshow eingesetzt hatte, nur ganz langsam aus dem Innenraum abzogen. Viel zu langsam, um den ohnehin späten Anwurftermin an diesem Sonntagabend einzuhalten. Weil der Hessische Rundfunk seinen „Sportkalender“ mit Moderator Werner Damm ab 21.55 Uhr live aus der Mittelhessen-Arena senden und zudem die Schlussphase des Hessenderbys live übertragen wollte, war der Spielbeginn für 20.40 Uhr vorgesehen. Doch wegen der schlechten Sicht konnte der Anpfiff erst über 20 Minuten später erfolgen. „Wir haben eine saftige Strafe von der Liga erhalten“, erinnert sich Dotzauer.
Sportlich lief der Abend auch nicht perfekt. Die SG Wallau/Massenheim verteilte keineswegs Geschenke zur Eröffnungsparty und setzte sich nach 60 intensiven Derbyminuten mit 28:27 durch, obwohl die Gastgeber, die zuvor in der Arena keine Trainingseinheit absolvieren konnten, kurz vor der Pause schon mit 15:10 vorne lagen und auch im zweiten Durchgang mehrmals eine Drei-Tore-Führung behaupteten. Doch spätestens, als kurz nacheinander Jan-Eiberg Jörgensen (51.) und Christian Caillat (53.) jeweils ihre dritten Zwei-Minuten-Strafen bekamen und damit disqualifiziert wurden, schlug das Pendel zugunsten der Gäste aus.
Für die HSG Wetzlar war diese unglückliche Pleite der Beginn einer Niederlagenserie in der neuen Arena. Auch gegen TuSEM Essen (30:37), den TBV Lemgo (29:30), die SG Flensburg-Handewitt (21:29) und den VfL Gummersbach (23:31) gab es in der Folge nichts zu holen, ehe am 16. Mai 2005 gegen die HSG Nordhorn mit 33:29 der ersehnte erste Sieg im neuen Wohnzimmer gelang.
Es war also ein mühsamer Start in der neuen Spielstätte. Aufgrund der schwachen Ergebnisse sehnten sich so manche schnell wieder nach der Sporthalle Dutenhofen. Doch der 13. März 2005 ist in der Klubgeschichte der HSG Wetzlar ein ganz bedeutendes Datum. Ein Meilenstein. Denn jeder weiß, ohne den Umzug in die Arena wäre Bundesliga-Handball in Wetzlar schon ganz lange nicht mehr möglich. "Die Buderus Arena Wetzlar, wie sie heute heißt, ist seit 20 Jahren unser Zuhause und das Fundament unserer erfolgreichen Entwicklung. Ohne den Mut und die Weitsicht der damals Verantwortlichen von Stadt und Klub wäre dieses Projekt nicht Realität geworden. Ihre Entschlossenheit hat die Zukunft der HSG Wetzlar gesichert – und sichert sie bis heute. Dafür sind wir unendlich dankbar“, so HSG-Geschäftsführer Björn Seipp, der seit einigen Jahren auch die Geschicke des regionalen Hallenbetreibers Arenakonzept GmbH leitet.
Erinnerungen an den 13. März 2005
Rainer Dotzauer, ehemaliger sportlicher Leiter der HSG Wetzlar: „Wir wussten nicht, was alles auf uns zukommt. Wir hatten keine Ahnung, welche Herausforderungen auf uns warten. Zum ersten Mal hatte ich gespürt, wie groß die Veränderung wird, als wir das erste Gespräch mit dem damaligen Arenabetreiber, der Firma Gegenbauer, geführt hatten. Die wollten sich mit uns auf unserer Geschäftsstelle treffen, doch die hatten wir in der Form ja gar nicht. Also kamen wir bei uns im Wohnzimmer zusammen und sprachen über Dinge, von denen wir noch nie etwas gehört hatten. Wir hatten über Jahre in Dutenhofen ein Alleinstellungsmerkmal in der Bundesliga. Das war von heute auf morgen weg. Uns war damals nicht bewusst, dass der Umzug eine neue Epoche einläuten würde. Aber es war genau die richtige Entscheidung. Ohne die Arena gäbe es die HSG Wetzlar in der Bundesliga nicht mehr.“
Axel Geerken, ehemaliger Torwart der HSG Wetzlar: „Das Spiel an sich war natürlich schon besonders, auch wenn es mit einer Niederlage endete. Ich kann mich aber auch noch gut an den Weg bis dahin erinnern. Es gab schon die Bedenken, dass wir die Arena nicht füllen können. Also hatten wir viele Heimspiele gegen die attraktiven und damit auch schwierigen Gegner in die Rückrunde gelegt. Das bedeutete, dass wir uns mit einer guten Heimbilanz aus Dutenhofen verabschiedet hatten und mit einer miserablen Ausbeute in Wetzlar begonnen hatten. Sportlich habe ich also nicht so positive Erinnerungen an die Anfangszeit in der Arena. Aber nach 20 Jahren ist die Buderus Arena immer noch eine der Top-Handballhallen in Deutschland mit einer guten Stimmung und tollen Bedingungen. Der Schritt war damals also genau der richtige.“
Andreas Klimpke, ehemaliger Spieler der HSG Wetzlar: „Für uns war das damals der Umzug aus unserem Schmuckkästchen in Dutenhofen in so einen schönen Tempel in Wetzlar. Das war ein Mega-Erlebnis und gleichzeitig für alle Neuland. Dass ich damals zum Heimspiel nicht mehr laufen, sondern mit dem Auto fahren musste, war noch die geringste Veränderung.“
Mario Clößner, ehemaliger Spieler der HSG Wetzlar: „Das war etwas Besonderes. Wir hatten den Bau der Arena ja auch hautnah mitbekommen. Ich bin dort immer mal vorbeigefahren, man hat den Fortschritt begutachtet. Da hat man schon gesehen, dass da etwas Großes entsteht. Zumal sich ja auch die Stadt durch den Bau der Arena und des Forums nebenan erheblich verändert hatte. Sportlich erinnere ich mich, dass wir bis zum Umzug nach Wetzlar ein beachtliches Polster nach unten hatten, das dann nach und nach geschmolzen war, weil wir einfach viele gute Gegner hatten und lange auf den ersten Heimsieg in Wetzlar warten mussten. Deswegen war die Anfangseuphorie auch schnell verflogen.“
Florian Naß, ARD-Handballkommentator: „Ich erinnere mich noch gut an dieses Spiel, weil ich es für den Hessischen Rundfunk kommentieren durfte. Das war eine große Ehre für mich. Wir haben Teile der Partie live übertragen. Der Umzug bedeutete für Mittelhessen natürlich eine enorme Entwicklung. Ich habe Spiele aus Dutenhofen kommentiert, aus Hüttenberg, aus der Gießener Osthalle. Da waren die Bedingungen für das Fernsehen immer herausfordernd. Ich weiß noch, wie wir in Dutenhofen Konstruktionen auf dem Pressebalkon über der Tribüne bauen mussten, um die Kameras gut positionieren zu können. Das war jetzt alles nicht mehr nötig. Die Bedingungen waren hervorragend. Das war richtig cool. Ich kann mich noch gut erinnern, dass bei diesem Spiel nicht ein Zuschauer „Wetzlar“ gerufen hätte. Sondern der Schlachtgesang war immer noch „Dutenhofen“.“